Still on the Way …
Mit einer geradezu atemberaubenden Intensität und Eindringlichkeit schildert Gan-Erdene Tsend die großartige und imposante Natur seiner mongolischen Heimat. Alles in seinen Landschaften entsteht aus dem Licht der Farben – ihrer sinnlichen Qualitäten und ihrer psychologischen Wirkungen. Das gesamte Farbspektrum des gebrochenen Lichts verdichtet sich zu einer pointillistischen all-over-Struktur, deren Farbklänge in pulsierender Vitalität erstrahlen. Zum zweiten Mal nun präsentiert die Galerie Michael Nolte das eindrucksvolle Werk dieses jungen und äußerst begabten Künstlers.
Die Landschaft erscheint in den Arbeiten Gan-Erdene Tsends wie eine beseelte Natur, die im Licht der Farben zu atmen beginnt. Es geht dem Künstler dabei vor allem um die Visualisierung des Wirkens der Natur und ihrer atmosphärischen Farb- und Lichtstimmungen. Eine sehr wichtige Inspirationsquelle findet er hier in dem traditionellen mongolischen Kehlkopfgesang. Dieser so genannte Höömii widmet sich mit seinem Zusammenklang aus Obertonstimme und Grundton der Vertonung der heimatlichen Natur sowie ihrer Pflanzen und Tiere. Gan-Erdene Tsend transformiert nun den Klang der Musik in pointillistisch erfasste Farbakkorde, durch deren Rhythmik die Natur und ihre in ihr wirkenden Kräfte dargestellt werden. So, wie der Gesang der Natur eine Stimme gibt, so verleihen die Farben in den Bildern Tsends ihr ein Gesicht. Es entstehen kontemplativ tief empfundene Landschaften, in denen Mensch und Natur vollständig ineinander aufgehen. In der grenzenlosen Weite der mongolischen Steppen und Wüsten wird eine tiefe Ruhe und Geborgenheit erfahrbar, die ein Gefühl von der Erhabenheit dieses Naturraumes vermittelt. Über allem liegt eine große, erhabene Stille, ein Hauch von Ewigkeit.
Neben diesen ausgedehnten Landschaften, in denen jegliches kreatürliche Wesen wie ausgelöscht erscheint, hat Gan-Erdene Tsend Bilder geschaffen, die durch die Einfügung von Menschen und Tieren seiner Heimat politische und gesellschaftliche Aussagen artikulieren. In diesen Arbeiten setzt sich der Künstler mit den Anforderungen auseinander, die die Globalisierung an eine immer noch hauptsächlich nomadisch lebende Gesellschaft stellt. Dabei arbeitet der Künstler mit subtilen Strategien. In feinen Sinnverschiebungen, Andeutungen oder im Weglassen eines Details überrascht er die Erwartungshaltung des Betrachters und lenkt so die Aufmerksamkeit auf den Bildinhalt. Herabgefallene Zügel eines Pferdes, auf dessen Rücken vier Geschwister sitzen, deuten deren Orientierungslosigkeit und damit den aufkeimenden Konflikt zwischen traditioneller und moderner Lebensweise an. Eine Pferdeherde, die sich im flirrenden Licht einer Fata Morgana aufzulösen scheint, verweist gleichnishaft auf die Zerbrechlichkeit und Sensibilität des engen nomadischen Familienverbands.
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